BGH: Zur Überbauung durch nachträgliche Außendämmung
Urteil vom 23. Juni 2022 - V ZR 23/21
Die Parteien in diesem Rechtstreit sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Das auf dem klägerischen Grundstück befindliche Gebäude wurde seit 1906 nicht mehr saniert. Nunmehr will die Klägerin eine 16 cm starke Dämmung an der Außenwand des Gebäudes anbringen, was zu einer Überbauung des Grundstücks der Beklagten führen würde. In den Vorinstanzen hatte die Klägerin Erfolg. Der BGH wies die Revision ab.
Hintergrund des Rechtstreits ist insbesondere § 16a des Berliner Nachbargesetzes (NachbarG Bln). Diese Regelung erlaubt einen grenzüberschreitenden Überbau, wenn dies zur Dämmung eines Bestandsgebäudes an der Grundstücksgrenze erfolgt.
Der BGH hatte sich daher mit der Frage zu befassen, ob § 16a NachbarG Bln verfassungsgemäß ist. Die Bundesrichter hegten zumindest Zweifel an der materiellen Verfassungsmäßigkeit, da die Duldungspflicht nicht an weitere Voraussetzungen gebunden ist, wie beispielsweise, dass der Überbau die Nutzung des benachbarten Grundstücks nicht beeinträchtigt oder dass eine vergleichbare Maßnahme nicht durchführbar ist. Der Berliner Gesetzgeber hatte hierauf explizit verzichtet, um die Anwendung der Norm einfacher zu gestalten. Allerdings stellten die Bundesrichter fest, dass die Interessen des duldungspflichtigen Nachbarn zumindest insofern berücksichtigt werden, dass er die Beseitigung verlangen kann, wenn er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will. Darüber hinaus wird der überbauende Nachbar verpflichtet, die Maßnahme zügig und so schonend wie möglich auszuüben und die Erhaltung der Wärmedämmung sowie der gedämmten Wand zu übernehmen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Regelung neben dem Individualinteressen der Nachbarn mit dem Klimaschutz auch einem Gemeinwohlbelang dient. Demnach reichten die Zweifel des BGH nicht aus, um das Verfahren auszusetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, da hierfür die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit gegeben sein muss.
Stand 28.07.2022